Entrepreneure im Aufwind. Universitäten sind ein wichtiger Player im Entrepreneurship-Ökosystem – hier bilden sich die IdeengeberInnen von morgen aus, hier legen GrundlagenforscherInnen die Basis für Innovationen. Das Potenzial wird sichtbar, wenn AbsolventInnen ihre Ideen in erfolgreiche Geschäftsmodelle gießen und ForscherInnen aus ihren wissenschaftlichen Erkenntnissen marktfähige Produkte und Dienstleistungen entwickeln. univie hat GründerInnen und ExpertInnen an der und um die Universität Wien nach ihren Geschichten und Erfahrungen gefragt.
Leseprobe aus dem Schwerpunkt:
Neue Gründerzeit
Text: Siegrun Herzog
Sie wollen die Welt verändern, ein Problem lösen oder schlicht ihr(e) eigene(r) ChefIn sein. Manchmal ist es aber auch purer Zufall, ob aus einer Idee oder einer wissenschaftlichen Erkenntnis eine Geschäftsidee und schließlich eine Firma wird. Die Gründe fürs Gründen eines Unternehmens sind vielfältig wie die GründerInnen. Für Stephanie Cox war der 27. Dezember 2015 ein Schlüsseldatum – der Tag, an dem sie, gemeinsam mit einem Freund, ein Erstaufnahmezentrum für Flüchtlinge besuchte. Was sie dort sah, bewegte sie zum Handeln. Ihr war klar, dass hier angepackt werden musste. Ein Thema, das Mehrwert versprach, war schnell gefunden: Arbeit für geflüchtete Menschen zu organisieren. So wurde die „chancen:reich“ geboren, die erste Berufsmesse für geflüchtete Menschen in Österreich. In nur vier Monaten stellten Stephanie Cox und Leo Widrich, gemeinsam mit einem Team von Ehrenamtlichen, die Berufsmesse auf die Beine. Sie versammelten 70 AusstellerInnen, darunter Unternehmen und wichtige AnsprechpartnerInnen zum Thema „Integration und Arbeit“, im Wiener MuseumsQuartier. In nur einem Tag wurden mehr als 200 Jobs an geflüchtete Menschen vermittelt. „Ich bin glücklich, wenn ich nicht nur über Herausforderungen spreche, sondern auch etwas dafür tue, sie zu lösen“, sagt die 27-jährige Absolventin der Kultur- und Sozialanthropologie, die seit acht Jahren selbstständig und heute als Unternehmens- und Start-up-Beraterin tätig ist.
Stephanie Cox, Absolventin der Kultur- und Sozialanthropologie und Initiatorin von
„chancen:reich“, der Berufsmesse für geflüchtete Menschen in Österreich, hier bei
der Entrepreneurship Night an der Uni Wien.
Den Drang, Dinge zu realisieren und nicht nur darüber zu reden, identifiziert der Wirtschaftswissenschafter Markus Reitzig als ein zentrales Merkmal von Unternehmergeist. Auch die Fähigkeit, Marktmöglichkeiten nicht nur auf einer hohen Abstraktionsebene zu analysieren, sondern sie gegen alle Widrigkeiten im Alltag umzusetzen und dabei andere mit sich zu reißen, zeichne erfolgreiche Entrepreneure aus. Den Professor für Strategisches Management und Organisationsdesign interessieren Start-ups als Forschungsobjekte. Reitzig beschäftigt unter anderem die Frage, welche Organisationsform förderlich für Innovationen ist.
Flache Hierarchien, wie wir sie häufig bei Start-ups finden, förderten generell den Informationsaustausch zwischen Angestellten und Vorgesetzten – eine zentrale Voraussetzung für die Diffusion neuer Ideen, bringt Reitzig die Forschungsergebnisse auf den Punkt. Allerdings können Unternehmen mit ausgeprägten Hierarchie-Ebenen schlechte Projektideen früher ausmerzen und damit Fehlinvestitionen vermeiden. Und man dürfe eines nicht vergessen, Start-ups zögen eine bestimmte Form von MitarbeiterInnen an. „Sie unterscheiden sich von jenen in Großunternehmen oft hinsichtlich ihrer Präferenzen und Fähigkeiten. Ob der Innovationsoutput letztlich an der Struktur oder an den Menschen lag, lässt sich oft nicht sauber trennen“, so Reitzig.
"Den Drang, Dinge zu realisieren und nicht nur darüber zu reden, ist ein zentrales Merkmal von Unternehmergeist."
Univ.-Prof. Markus Reitzig
Wirtschaftswissenschafter, Uni Wien
Innovation am Stundenplan. Wie Innovationen entstehen, beschäftigt auch Markus Peschl. Die gute Nachricht: „Innovationsfähigkeit kann man lernen – und lehren“, ist der Innovationsforscher und Kognitionswissenschafter überzeugt. Im Erweiterungscurriculum „Knowledge Creation: Wie Wissen und Innovation entstehen“, das Peschl am Institut für Philosophie als interdisziplinär angelegte Kurse anbietet, üben Studierende erst einmal Grundlegendes wie Reflexionsfähigkeit und Beobachtungsgabe, um die eigenen Denk- und Wahrnehmungsmuster aufzubrechen. Um diese Fertigkeiten zu trainieren, schickt der Wissenschafter die TeilnehmerInnen seiner Lehrveranstaltungen schon mal hinaus aus dem Hörsaal. „In einem Innovationsprozess geht es darum, zu sehen, was noch nicht ist, was entstehen will“, sagt Peschl. Am Ende des Prozesses, der über ein Semester geht, steht die Entwicklung eines „Prototypen“ im weiteren Sinn, der die innovative Idee greifbar machen soll.
Was es heißt, theoretische Überlegungen in die Praxis zu übersetzen, weiß Markus Peschl aus eigener Erfahrung. Als Co-Gründer der Innovationsberatung „The Living Core“ entwickelt er gemeinsam mit Organisationen und Unternehmen geeignete Settings für Innovation, vom Organisationsdesign bis hin zur Architektur und Raumgestaltung. Aktuell hat „The Living Core“ den Innovationsprozess und das Innovationszentrum des Chemie- und Pharma-Konzerns Merck in Deutschland begleitet, der sich die Frage stellte, welche gesellschaftliche Rolle das Unternehmen in Zukunft einnehmen möchte. Der Innovationsforscher hat damit einen Hebel in die praktische Umsetzung seiner Forschung gefunden. „Mein Ziel ist es, einen sozialen Impact zu generieren – in der Lehre, in der Gesellschaft, aber auch unternehmerisch. Ich wollte einfach wissen, ob es geht“, nennt Peschl seine Beweggründe fürs Gründen. Für die eigene Forschung seien die Projekte auch so etwas wie ein empirisches Experiment, „quasi mein verlängertes Labor“, gibt Peschl verschmitzt zu.
"In einem Innovationsprozess geht es darum, zu sehen, was noch nicht ist, was entstehen will."
A.o.Univ.-Prof. Markus Peschl
Innovationsforscher und Kognitionswissenschafter, Uni Wien
Geschäftsidee als Nebenprodukt. Unternehmensgründungen von WissenschafterInnen werden in Österreich durchaus noch kritisch gesehen, ganz anders als etwa in den USA, wo es längst gang und gäbe ist, dass ProfessorInnen eigene Firmen gründen. Das Vorurteil „Du hast eine Firma, jetzt bist du reich!“ als typische Reaktion aus dem KollegInnen- oder Bekanntenkreis kennt auch Markus Aspelmeyer. Die meisten Leute würden übersehen, dass Gründen ein extremer Aufwand mit hohem – auch finanziellem – Risiko sei. Seit 2013 ist der Professor für Quantum Information on the Nanoscale an der Fakultät für Physik auch Co-Gründer von „Cristalline Mirror Solutions“, einer Hightech-Firma, die kristalline Superspiegel für Hochleistungs-Laseroptiken herstellt. Was als Zwei-Mann-Garagen-Firma begann, wuchs – heute unterhält das Unternehmen neben Wien auch Standorte in Zürich und im kalifornischen Santa Barbara. Dabei ist die Geschäftsidee eigentlich ein Nebenprodukt von Aspelmeyers Forschung und außerdem einem Zufall zu verdanken.
Trifft ein Materialwissenschafter auf einen Quantenphysiker: Garret Cole und Markus Aspelmeyer
(rechts im Bild) gründeten gemeinsam „Cristalline Mirror Solutions".
Die Forschungsgruppe war auf der Suche nach einem geeigneten Materialsystem für ihre Quantenexperimente, als sich herausstellte, dass das neue System – kristalline Spiegel –, wenn man sie großflächiger baut, auch ein fundamentales Problem der laserbasierten Präzisionsphysik lösen würde. Dass dieses Problem überhaupt bestand, erfuhr Aspelmeyer durch Zufall bei der Literaturrecherche für eine Publikation. Einige KollegInnen waren zunächst skeptisch, dass die „Spiegel-Lösung“ überhaupt funktionieren und die erhoffte Verbesserung liefern würde. Nach dem Motto „euch werden wir es zeigen“ werkten Markus Aspelmeyer und sein Kollege Garret Cole an der Umsetzung. Und es klappte. Nach fünf Jahren Entwicklungsarbeit gelang es den beiden, einen Prototypen herzustellen, der die Genauigkeit der Messungen – wie vorhergesagt – extrem verbesserte. Es folgten Anfragen aus aller Welt, zunächst von Forschungseinrichtungen und dann aus der Industrie, bald stand fest, dass durch den wachsenden Bedarf die Weiterentwicklung der Technologie vom Prototyp zur Serienreife nötig wurde. Die Firmengründung war da nur der nächste logische Schritt.
Vom Labor in die Praxis. Auch Selma Hansal hat Lösungen für „die Welt da draußen“ gefunden. Die Alumna der physikalischen Chemie hob vor zwölf Jahren das Galvanikunternehmen „Happy Plating“ aus der Taufe, zusammen mit ihrem Mann und einer Studienkollegin. Dem Team gelang es, ein besonders effizientes und umweltschonendes Galvanisierungsverfahren zu entwickeln, das metallische Oberflächen mit besonderen Eigenschaften ausstattet, wie sie etwa für die Automobilindustrie oder die Raumfahrttechnik benötigt werden.
„Ein Unternehmen zu gründen, war damals noch exotisch“, erzählt die 44-Jährige rückblickend. Erste Berührungspunkte mit der Industrie hatten sich bereits im Rahmen der Dissertation ergeben. „Da hatte ich erstmals den Eindruck, es entsteht etwas, das auch in der Praxis gebraucht werden könnte.“ Die Gründung aber tatsächlich zu wagen, war dennoch eine große Hürde. Zunächst half die Teilnahme am Gründungsprogramm für AbsolventInnen u:start (vormals UNIUN), wo sich das GründerInnenteam das nötige Business-Rüstzeug holte, später folgte Unterstützung durch das universitäre Gründerservice INiTS. Der Businessplan des Teams „Happy Plating“ – der als Firmenname erhalten blieb – wurde als einer der besten prämiert und die Gründung damit immer wahrscheinlicher. Dazu Hansal: „Erst zu diesem Zeitpunkt hatten wir realisiert, dass aus unserer Idee wirklich etwas werden könnte.“
Selma Hansal, Alumna der physikalischen Chemie und Co-Gründerin der Hightech-Firma
„Happy Plating“, bei der Entrepreneurship Night an der Universität Wien.
Dass man die Entwicklung von marktrelevanter Technologie aus der Grundlagenforschung heraus nicht forcieren kann und das auch nicht tun sollte, davon ist Markus Aspelmeyer überzeugt. Grundlagenforschung müsse an der Universität zunächst zweckfrei möglich sein. Wo der Spin-off-Gründer Handlungsbedarf sieht, ist die Kommunikation mit der Außenwelt. Nur so könne man erfahren, inwieweit das, was in den Labors oder an den Schreibtischen entwickelt werde, tatsächlich auch eine Lösung für existierende Probleme in der Praxis sein könnte. Das Innovationspotenzial in seinem Fachbereich, der Quantenphysik, sei jedenfalls riesig: „Unsere ForscherInnen müssen tagtäglich im Labor kreativ an neuen Problemlösungen arbeiten.“ Studierende und NachwuchswissenschafterInnen möchte der Physiker daher anregen, darüber nachzudenken, ob das, was man im Labor gerade ge- oder erfunden hat, auch als technologische Lösung für andere Problemstellungen interessant sein könnte.
Vielfalt als Stärke. Im Aufeinanderprallen der unterschiedlichen Wissens- und Wissenschaftskulturen liegt für Markus Peschl der Reiz und damit das Potenzial, dass etwas Neues entsteht. „Ich sehe nicht, dass ein Physiker besser für Innovation geeignet wäre als eine Biologin oder ein Psychologe.“ Eher seien es Haltungen und Mindsets wie die Bereitschaft, sich zu öffnen oder mit Unsicherheiten umzugehen, und das sei keineswegs an Disziplinen gebunden, so der Innovationsforscher.
Typische Uni-Wien-Gründungen gebe es nicht, Uni-Wien-GründerInnen generierten aber mehr Umsatz als Unternehmen anderer Universitäten, heißt es seitens des universitären Gründerservice INiTS. Eines zeigen die Geschäftsideen von Uni-Wien-AbsolventInnen jedenfalls deutlich, Innovation kann ganz unterschiedliche Ausprägungen annehmen. Entsprechend vielfältig sind die gegründeten Firmen: von Biologie-Absolvent Pascal Querner, der mit Schädlingsbekämpfung in Museen international eine Nische gefunden hat, über den Chemie-Alumnus Michael Fassnauer, Gründer von „Ubimet“, einem der mittlerweile größten Wetterdienste Europas, bis hin zur Publizistik-Alumna Eva Mandl, Gründerin der PR-Agentur „Himmelhoch“. „Es ist so wichtig, zu experimentieren“, plädiert Alumna und Start-up-Beraterin Stephanie Cox dafür, die Neugier bei Studierenden zu fördern, und damit auch den Unternehmergeist von AbsolventInnen. •